Konstruktion von Bi- und Homosexualitäten im kulturellen Kontext

 


Gedanken zur 

Konstruktion von Bi- und Homosexualitäten im kulturellen Kontext: 

Radiosendung und Buch

Gegensprechanlage 23.7.2004 auf Lora München 92,4 von 22-24 Uhr

Die verschiedenen Kulturen gestalten Beziehungen und ihre Bilder davon in sehr unterschiedlicher Weise, meist bezogen auf ihre Lebensgrundlagen, oft aber auch unreflektiert nach traditioneller Art, weil die neue Lebenssituation noch nicht zur Form und zum gemeinsamen Ritus geworden ist.

Unsere allgemeinen mitteleuropäischen Familienbilder setzen eine Ehe voraus, die standesgemäß geschlossen und "fürs Leben" haltbar ist. Konservative verteidigen diese Bilder gegen eine neue Lebensrealität, die nur einen sehr geringen Anteil gemeinsam alternder Paare aufweist.

Bei jeder Hochzeit sind auch die Scheidungsraten im Kopf der Gäste, im Bewusstsein der Familie, in der inneren Frage des Paares, werden aber nicht ausgesprochen, um das junge Glück nicht zu stören und wieder mal eine Hoffnung gegen das Hoffnungslose zu setzen.

Unsere Angst ist der Tod, und die Angst der Familie ist ihr aussterben. Wir kennen das auch auch als Angst unserer kulturellen Gesellschaft: Die neu zugewanderten haben mehr Kinder, Lust und Fruchtbarkeit, sie werden zukünftig anteilsmäßig die Gesellschaft übernehmen.

Mitten in diesen mehr oder weniger Idyllen von Beziehungsleben und Liebe (eine "Erfindung" des 18. Jahrhunderts, daß unser persönliches Gefühl wichtiger ist als der Sachverstand der Eltern) finden sich Menschen, die erkennen, daß ihre Orientierung anders ist oder anders wird.

Frauen, die sich seelisch und auch körperlich zu Frauen hingezogen fühlen, Männer, die ihre Lust mit Männern erleben wollen, und Menschen, die sich in ihrem Geschlecht nicht zu Hause fühlen, errichten, um ihr eigenes Fühlen und Wollen zu verstehen, ihr eigenes Konstrukt von Sex und Liebe.

Diese Konstrukte werden kommuniziert, wandeln sich im Lauf der Jahrhunderte so schwerfällig wie die Bilder der Groß- und Kleinfamilien, haben Innen- und Außenbilder und eine gesellschaftliche Wirkung: Es geht um Selbstwert, Würde, Verantwortung, Kriminalisierung, psychische Gesundheit.

Die Bilder und Grenzen sind in den Kulturen sehr verschieden, bei uns vorherrschend und vorkämpfend ist zur Zeit die angelsächsisch- amerikanische Innovation aus dem protestantischen Selbstverständnis, gleiche Rechte und Pflichten in einer verantworteten langfristigen Zweierbeziehung zu leben.

Eine türkische Kultur der verschwiegenen Nebensexualitäten: Ein Mann hat Frau und Familie, was er daneben mit anderen Männern treibt, solange er der aktive Part ist, geht niemand was an; der passive Part ist aber im Wert sehr viel geringer als eine Hure und eine Schande für seine Familie.

Das Leben der Frauen findet unausgesprochen statt: Wenn sie keine Kinder bekommt, ist es ein Unglück ... Natürlich durchbricht die junge Generation diese Schamgrenzen, im Exil-Kontext aber wenig dialogisch. Die Befreiung der Frauen aus der passiv-häuslichen geringerwertigen Rolle wirkt aber langsam mit.

Ein weiteres Element in unserem kulturellen Spielfeld sind die machistisch orientierten Wurzeln: Aus Italien und Spanien, vom Balkan, aus Afrika und aus östlichen Ländern kommen die Untugenden des in der Öffentlichkeit überwertigen Mannes, der zu Hause von Mamma oder Gattin dressiert wird.

Die Spuren häuslicher Gewalt, Unfähigkeit zum offenen Dialog, zum Wechsel in den Familien-Aufgaben, auch mangelhafte Anteilnahme in der Erziehung fallen natürlich vor allem in der wenig angepassten und ausgebildeten Unterschicht auf, um so härter werden die Auseinandersetzungen dort als Angst fixiert.

Und dann toben schrill bunte, laute Paraden durch die Stadt und fordern gleiche Rechte, während der türkische Vater seinen Sohn, der die Familienehre ruiniert, grade noch ermorden möchte ... Die Bilder kommen selten in Dialog, und auch schon am Stadtrand sind die Gesetze andere.

Das macht den CSD auch meist so verzweifelt schrill und laut, und selten ist so eine gute Konstellation zu erleben, wie beim CSD am See in Lindau (laut wars auch): Mitten im Stadtfest auf der Insel, in dem alle anderen Vereine Bühnenprogramm, Büchertische und Essensstände anboten, an der Stiftskirche:

Wie an anderen Plätzen auch, Musik, Bühnenprogramm, aber auch politisch Reden, und vorher eine Parade durch die historische Altstadt mit Kundgebung im touristen-vollen Hafen, mit Tschaikowski, der sich vor 111 Jahren "ehrenvoll" die Kugel geben musste. Im Inhalt waren "les-bi-schwul-trans“ führend.

In unserer Sendung werden wir Thomas Grahammer vom CSD in Altötting zu Gast haben, mit Stefan Seufert vom CSD am See in Lindau telefonieren und auf den CSD in Rosenheim am 7. August aufmerksam machen, www.hosi-rosenheim.de informiert zu dem dortigen Strassenfest in der Nikolaistrasse ab 16 Uhr.

Und natürlich geht es auch um das Ketzerbrevier:

Fritz Letsch: Ketzerbrevier eines Altöttinger Ministranten ... denn Sie wissen nicht, was Liebe ist ... Mein Ärger mit der Kirche - Bewusstseinsbildung statt blindem Glauben! ISBN 3-930 830-48-5 für 13 Euro


nicht mehr aktuell:

und natürlich bei Max und Milian ... und im sonstigen Buchhandel.

Und im Forum Homosexualität und Geschichte in der Müllerstr. 43 a, RGB
auch bei der Eröffnung der Fotoausstellung Donnerstag 22.7. um 20 Uhr
Wir ziehen den Schwanz nicht ein!
Fotos von Münchner CSDs, Demos, Faschingsbällen, Straßenfesten
aus den Jahren 1986 bis 2001 von Horst Middelhoff


fritz letsch   http://fritz-letsch.de/

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